7. Juni 2021

Göttingen

„Da ist diese innere Verantwortung“

Am 12. September wählt Göttingen ein neues Stadtoberhaupt. Wir stellen alle Kandidatinnen und Kandidaten vor. Heute: Edgar Schu, der für die Wählergemeinschaft Göttinger Linke Oberbürgermeister werden möchte.

Von Ulrich Meinhard

Edgar Schu - Linker Oberbürgermeisterkandidat
Edgar Schu kandidiert für den Posten des Göttinger Oberbürgermeisters, nominiert von der Wählergemeinschaft Göttinger Linke.Foto: Peter Heller

Göttingen. Treffpunkt Waldspielplatz Pfalz-Grona-Park. Das ist der Lieblingsort von Edgar Schu. Dort hat sich der Ratsherr mit dem Tageblatt verabredet. Bei der Wahl des Ortes geht es ihm weniger um den Spielplatz – doch auch. Es geht weniger um den Wald – doch auch. Es geht weniger um die Wohnhäuser an der Pfalz Grona – doch auch. Alles zusammen verdichte sich zu einem urbanen Bereich, den der 51-Jährige als höchst angenehm empfindet: ein Miteinander von Stadt und Natur, ein entspanntes Leben und Wohnen der Anlieger. Und schwups, schon kommt auch eine Kindergruppe und nimmt den Spielplatz in Besitz.

Schu will Oberbürgermeister werden. Er gehört zu den Göttinger Linken. Die Wählergemeinschaft Göttinger Linke hat den Diplom- Chemiker zu ihrem Kandidaten bestimmt. Er ist neben Petra Broistedt (SPD), Ehsan Kangarani (CDU), Doreen Fragel (Grüne) und Mathias Rheinländer (Die Partei) der Fünfte im Bunde, der für die Nachfolge von Amtsinhaber Rolf-Georg Köhler (SPD) kandidiert. Aktuell beschreibt sich Schu als einen politisch arbeitenden Menschen, etwa als Ratsherr, etwa für Scientists for Future. Finanziert werde seine Arbeit über Paten, die sein gesellschaftliches Engagement wertschätzen.

Schon zu Studienzeiten politisch aktiv

Geboren 1969 in Dortmund, aufgewachsen in Walkenried und Hildes- heim, studiert in Göttingen (Schwerpunkt Ökosystemforschung und Bioklimatologie) – und dann geblieben. Schon zu Studienzeiten war Schu politisch aktiv: in der Fachschaft, im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA), im Anti-Atom-Plenum.

Zu seinen Kindheitserinnerungen gehören die Diskussionen zwischen Vater und Mutter, da ging es oft um Politik. Der Großvater mütterlicherseits war Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ in der Zeit des Nationalsozialismus. „Diese innere Verantwortung, in der Gesellschaft eine Wächterfunktion zu haben, hat in unserer Familie Tradition“, erklärt Schu. Manfred Hartmann, der Großvater, war 1933 Mitbegründer des Pfarrernotbundes, aus dem die „Bekennende Kirche“ hervorging. Damit öffnet sich ein Fenster in die Vergangenheit, in dem Namen wie Dietrich Bonhoeffer, Gustav Heinemann (der spätere Bundespräsident), Martin Niemöller und Helmut Gollwitzer auftauchen. Allesamt Männer der evangelischen Kirche, die den Nazis die Stirn boten.

Vertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter nicht verlängert

Eine Geisteshaltung, die wohl in der Familie weitergegeben worden ist. „Wo mir mein Gewissen sagt, dass ich mich einmischen muss, da tue ich das“, zeigt Schu auf, wie er tickt. Dass diese Einstellung nicht immer zum persönlichen Vorteil gereicht, hat er erlebt. Er gehörte zum Kern des Göttinger Anti-Atom-Plenums und machte sich stark gegen die vor 20 Jahren eingeführten Studiengebühren. Was der Uni- Leitung offenbar missfiel. Jedenfalls ist sein Vertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter 2004 nicht verlängert worden. Damit war es Essig mit der angestrebten Promotion, lässt Schu wissen. Er musste sich notgedrungen umorientieren und entschied sich, die politische Arbeit als seine Bestimmung zu akzeptieren. Die Studiengebühren sind dann übrigens wieder abgeschafft worden. „Aber dafür war ein Widerstand wichtig“, resümiert er.

„Ich gründete direkt nach meinem Rausschmiss aus der Uni das Aktionsbündnis Sozialproteste.“ Es war die Zeit, als die rot-grüne Schröder-Regierung Hartz IV beschloss. Es folgten als Reaktion darauf die Montagskundgebungen, die Schu mitorganisierte. Parallel ar- beitete er in einem bundesweiten Netzwerk mit. Der Einsatz des Netzwerks und sein eigenes Engagement für die Erhöhung des steuerlichen Existenzminimums habe ihn 2014 zur Partei Die Linke gebracht – und zwei Jahre später in den Rat der Stadt. Dort ist Schu Mitglied im Bauausschuss, im Finanzausschuss und zeitweise im Betriebsausschuss Umweltdienste.

Viel Geld für fragwürdige Projekte

Unzufrieden ist er mit der Informationspolitik der Stadtverwaltung. Sein Augenmerk liegt auf der Energie- und Abfallwirtschaft: Hier würden Summen von mehr als 20 Millionen Euro ausgegeben für frag- würdige Projekte. Schu nennt das Biowärmezentrum am Maschmühlenweg, betrieben von den Stadtwerken. Er bemängelt, dass für dieses Projekt eine „freihändige Vergabe“ stattgefunden habe mit nur ei- nem Anbieter, ohne Wettbewerb.

„Wir haben als Göttinger Linke schon 2017 kritisch nachgefragt, und ich hatte auf die äußerst prekäre Finanzlage der Firma Boson Energy hingewiesen. Nun liefert sie die Anlage zur Holzvergasung offenbar gar nicht mehr.“ In dem teuren, futuristisch anmutenden Bau stehe jetzt eine Standardanlage zur Holzverbrennung. „Wie viele Millionen hier ausgegeben wurden, werden wir wohl nie erfahren“, ärgert sich Schu.

„Nächstes Beispiel: Abfallwirtschaft. Auch hier versuchen wir, verbindliche Informationen zu bekommen.“ Dem 51-Jährigen geht es konkret um die Müllbehandlung. Der Umbau der Anlagen des Abfallzweckverbands in Deiderode sei ohne Wettbewerb an eine Firma aus Witzen- hausen gegangen, die eine Investition von fünf Millionen Euro prognostiziert habe. Dies war von vornherein unrealistisch, wie die heuti- ge Schätzung von 25 Millionen Euro zeige. „Uns Ratsherren wird bis heute nicht die Planungsausschreibung vorgelegt“, versichert Schu. „Es wird sogar dreist suggeriert, man hätte sie schon bei einer Akteneinsicht gezeigt“, empört sich der OB-Kandidat.

Wo er Geld nachhaltig einsetzen würde, ist der kommunale Wohnungsbau. Diesbezüglich habe die Stadtverwaltung viel zu wenig unternommen. „Die Stadt hätte Kredite zu Nullzinsen bei noch günstigen Baukosten aufnehmen können. Die Grundstücke hat sie den Immobilienhaien überlassen“, befindet Schu. Die Privatwirtschaft habe das „billige Geld“ fast ausschließlich in teure Wohnungen gesteckt. „Die normal verdienenden Mieterinnen und Mieter haben nun das Nachsehen.“

Was würden die Göttinger denn erwarten können mit ihm als OB im Neuen Rathaus? „Ich stehe für grundlegend andere Schwerpunktsetzungen und Transparenz in den Planungen. Das heißt für eine Kommunalisierung der Daseinsvorsoge und bessere Überwachung der Eigenbetriebe.“ Auch die Elektrifizierung des ÖPNV würde er angehen und ihn insgesamt attraktiver machen. Ist die Zeit reif für einen linken Oberbürgermeister? „Wenn man sich den Wohnungsmarkt ansieht, auf jeden Fall“, sagt Schu.

Homepage: https://www.edgarschu.de/


 

 

 

 

Arbeitsgruppen für die Kommunalwahl 2021

1. Starke Kommunen durch ausreichende Finanzierung

Anhand der unzureichenden Finanzierung der Kommunen betonte Edgar Schu die notwendige Verknüpfung des Kommunal- mit dem Bundestagswahlkampf. Kommunen sind häufig überschuldet und „Entschuldungshilfe-Pläne“ des Landes regelmäßig an Bedingungen wie beispielsweise Kürzungen bei den Zuschüssen für soziale, kulturelle oder ökologische Einrichtungen sowie Personalabbau gekoppelt. Der Versuch, eine Gewinnausschüttung der kommunalen Sparkasse(n) zur Entlastung zu erreichen, scheiterte.
Ansprechpartner*in(nen)
Edgar Schu, Tel. 0551-20190386, eMail: edgar.schu@goettinger-linke.de


2. Wohnen als Grundrecht und Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge

Tom Österreich wies auf den ständigen Rückgang von preisgünstigem Wohnraum in Göttingen hin. Dabei sei das auch Wohnungskonzerne umfassende „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ eher kontraproduktiv. Nicht hinzunehmen sei, dass die Stadt sich dem Mietspiegel und damit dem Instrument der Mietpreisbremse verweigere.
Ansprechpartner*in(nen)
Thomas Österreich, Tel. 0151-54722432, eMail: tom-oesterreich@posteo.de


3. Sozialpolitik

Bei der kommunalen Umsetzung von Hartz IV und der Grundsicherung sehen Jo Bons und Andreas Gemmecke die Einführung einer Sozialcard, Kosten der Unterkunft und die Sanktionen gegenüber Leistungsbeziehern als Schwerpunkte an. Die Arbeit unabhängiger Beratungsstellen muss gesichert werden. Neben der Kinderarmut soll auch die Altersarmut stärker berücksichtigt werden.
Zur Beschäftigtenpolitik muss weiterhin eine Zusammenarbeit mit Personalräten stattfinden. Die Kommune sollte Aufträge ausschließlich an Firmen vergeben, die nach Tarif zahlen.
Ansprechpartner*in(nen)
Joachim Bons, Tel. 0551-31071, eMail: jbons@gwdg.de
Andreas Gemmecke, Tel. 0551-61401/ 0151-14444619, eMail: andreas_gemmecke@online.de


4. Inklusion und Behindertenpolitik

Kristina Schulz und Gunnar Siebecke betonten, dass Inklusion als „Teilnahmemöglichkeit eines jeden an allem“ eine Querschnittsaufgabe sei.
Ansprechpartner*in(nen)
Kristina Schulz, Tel. 0162-4926920, eMail: schulz@wr-deutschland.de
Gunnar Siebecke, Tel. 0551-93435, eMail: g.siebecke@web.de


5. Schule, Kinder- und Jugendpolitik

Christa Siebecke stellte die schwierige Situation von Kindern und ihrem Lebensumfeld heraus. Dies betrifft die Familie, Bildungseinrichtungen, Freiräume und die Auswirkung der Corona- Beschränkungen.
Im Bereich Schule sind Inklusion, Digitalisierung, Sanierung von Schulbauten Schwerpunkte. Hinzu kommt die Forderung, die IGS als Regelschule einzuführen. Auch das Thema Universität soll behandelt werden.
Ansprechpartner*in(nen)
Christa Siebecke, Tel. 0551-6336027, eMail:ch.siebecke@web.de
Rolf Ralle, Tel. 0551-796275, eMail: hoosralle@arcor.de


6. Ökologie

Eckhard Fascher betonte, dass Maßnahmen zur Durchsetzung des Klimaschutzes mit dem Festhalten am Ausstieg aus der Atomenergie und dem Ausbau des ÖPNV verknüpft werden müssen. Beim Naturschutz zeige sich die Stärke von Lobbyinteressen gegenüber dem Allgemeinwohl.
Ansprechpartner*in(nen)
Eckhard Fascher, Tel. 0551-40137061/ 0152-32077973, eMail: eckhardfascher@web.de
Christian Schüler, Tel. 05508-8159, eMail: cschueler2015@gmail.com


7. Kultur und Sport

Jost Lessmann und Oliver Preuss forderten Planungssicherheit für kleinere Theater und Kulturinitiativen sowie einen Kulturrat der Kulturschaffenden mit Kommunalpolitikern. Beim Sport soll Teilhabe für Alle ermöglicht werden.
Ansprechpartner*in(nen)
Jost Leßmann; Tel. 0162-6054607, eMail: jostup@web.de
Oliver Preuß, Tel. 0179-7322549, oliverpreuss@endoryan.de


8. Geschlechtergerechtigkeit geht alle an!

In ihrem verlesenen Beitrag sieht Bärbel Safieh Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsthema. Die Förderung für Mädchen, Frauenarbeit und Frauenprojekte muss immer wieder erkämpft werden.
Auch die Verhinderung der Diskriminierung von homosexuellen, bisexuellen, transsexuellen, intersexuellen oder queeren Menschen (LGBTQI) ist Thema.
Ansprechpartner*in(nen)
Bärbel Safieh, Tel. 0551-90036266, eMail: bsafieh@web.de


9. Solidarität auf allen Ebenen

Zu dieser Arbeitsgruppe gehören die Themenkomplexe Antifaschismus, Förderung der Erinnerungskultur, Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie Frieden und internationale Solidarität. Im Bereich Friedenspolitik wurden in der Diskussion deutliche kommunale Bezüge gesehen: So wird die Beteiligung der Bundeswehr am jährlichen Göttinger Berufsinformationstag GöBiT und Werbung für diese im Göttinger Stadtbild abgelehnt.
Ansprechpartner*in(nen)
Peter Strathmann, Tel. 0551-7701767, eMail: peter.strathmann@goettinger-linke.de


Zusätzlich soll auch die Drogenpolitik aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz des Themas in das Programm aufgenommen werden.

Die Arbeitsgruppen werden nach der Konferenz konstituiert. Da das Programm vermutlich recht umfangreich wird, werden einzelne Bereiche in Flyern separat dargestellt.

 

 

 

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